Dr. phil. Rüdiger Koch
Zukunft beginnt im Realen

Das Infektionsschutzgesetz des Bundes stoppt auch kulturelle Modellprojekte bei einer mehrtägigen Inzidenz von über 100. In den zurückliegenden Monaten hatten Kulturakteure dabei verantwortungsbewusst differenzierte Hygienekonzepte für unterschiedliche Veranstaltungsformate entwickelt. Dass diese sich nun durch Modellprojekte nicht beweisen dürfen, entmutigt und verhindert gleichzeitig das Ermitteln von Erfahrungswerten. Es wirft ebenso ein Schlaglicht auf politische Entscheidungsprozesse.
Die Kommunen als Hauptträger der Kultur haben bundes- und landesgesetzliche Vorgaben umzusetzen. Faktisch bedeutet das genannte Bundesgesetz eine gravierende Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung auf Zeit. Die Pandemie und deren Folgen werden darüber hinaus kommunale Selbstverwaltungsspielräume zusätzlich begrenzen. Der kommunalen Kulturpolitik stehen schwierige Jahre bevor.
Angesichts der coronabedingten Schuldenaufnahme erreichen Städte und Landkreise bei zusätzlichen freiwilligen Ausgaben verstärkt haushaltsrelevante Monita der Kommunalaufsichten. In den kommunalen Haushalten zeichnen sich durch soziale wie klimafördernde Mehrausgaben weitere finanzielle Belastungen ab. Die Schuldenproblematik wird uns über Jahre, wohl über eine Dekade haushaltpolitisch begleiten und Verteilungskämpfe zur Folge haben. Feinsinnige Video-Chats und begrifflich aufgepumpte Papiere verlieren sich hier im Wolkigen, soweit aus ihnen keine Realpolitik erwächst.
Kulturpolitik, insbesondere diese, sollte sich in einem stetigen Diskurs ihrer Grundlagen und Ziele vergewissern. Kulturakteur/innen sind entsprechend sozialisiert. Weniger vorbereitet und gewogen bewegen sie sich in einem realen Politikbetrieb, dessen Entscheidungsmechanismen meist anderen Regeln folgen. Ein alleiniges Bedauern hierüber hilft wenig, insbesondere nicht in Zeiten akuter Herausforderungen. Bei der ansonsten angebrachten Balance zwischen Haltung und Handeln sollte der Fokus jetzt auf dem Handeln liegen, auf einer beschluss- und vertragsorientierten Kulturpolitik.
In den atemraubenden Nachwendejahren haben Kulturpolitiker/innen im Osten Deutschlands Erfahrungen gesammelt, die auch in der aktuellen Situation als eine Art Werkzeugkasten für kulturpolitisches Handeln genutzt werden könnten. Wie im Zeitraffer musste kulturpolitisch agiert werden, um den Erhalt und die Entwicklung kommunaler Kultur zu sichern. Mit dieser strategisch-konsequenten Ausrichtung konnte sich beispielsweise der Anteil der Kultur am Gesamthaushalt der Landeshauptstadt Magdeburg innerhalb weniger Jahre nahezu verdoppeln. Hieraus entstanden neue Freiräume und Atem wurde geschaffen für Zukünftiges, so auch für vertiefende Diskurse.
In den kommenden Jahren werden die Verteilungsdiskussionen zwischen den Resorts an Intensität zunehmen. Die Kulturpolitik wird sich diesen realen Verhältnissen stellen müssen. Will sie erfolgreich sein, muss sie sich im Ergebnis durch konkrete Beschlusslagen behaupten. Ansonsten würde sich die Wolkendecke für sie nur noch verdichten.