Dr. phil. Rüdiger Koch
Kultur? Kultur!
Aktualisiert: 9. Nov. 2020
In Zeiten epochaler Veränderungen wirkt die Corona-Pandemie wie ein Brennglas. Tiefgreifende Veränderungen und aktuelle Herausforderungenvermögen hierbei den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, soweit aus einem öffentlichen Diskurs Entscheidungen und Perspektiven erwachsen. Diese Brücke zwischen dem Ich zum Wir tragfähig gestalten zu helfen, sollte hohes Anliegen der Kulturakteure sein. So hat bereits vor vier Jahren Ulrich Khuon zu „gefährlichen Begegnungen“ nachdrücklich aufgefordert. Angesichts grundlegender gesellschaftlicher Umbruchsszenarien wirkten bisherige routinierte Dialoge seltsam zurückgezogen. Wo war- und wo ist? – die Kultur mit ihren Stimmen hör- und sichtbar präsent auf den Straßen und Plätzen, nicht nur in ihren angestammten Räumen. Man hatte sich eingerichtet, nicht nur räumlich. Verschiedene Gegenbeispiele sind keine Begründung für ein tatsächlich wahrgenommenes, gesellschaftlich vermitteltes Bewusstsein. Ist es deshalb verwunderlich, dass die Kultur seit Beginn der Corona-Krise über Monate eine nachrangige Rolle spielte, obgleich ihre Akteure zu den am stärksten Betroffenen zählen? Bedenklich, weil grundlegend ist, dass die Bedeutung der Kultur für unsere Gesellschaft in den öffentlichen Diskussionen und politischen Entscheidungen keinen angemessenen Ausdruck fand. Till Brönner hat sich hierzu in einem aktuellen Podcast aufrüttelnd geäußert. Doch müssen wir die Bedeutung der Kultur vordergründig ökonomisch begründen, mit ihren über 1,5 Millionen Akteuren und einem finanziellen Jahresumsatz von über 150 Milliarden Euro? Und zeichnet es eine Gesellschaft aus, die sich ihrer eigenen Kultur als „systemrelevant“ vergewissern muss? Wenn Kultur argumentativ ins ökonomische Schaufenster gestellt wird, droht sie zu einem Angebot unter vielen, letztendlich beliebig zu werden. Angesichts der akuten Corona-Pandemie gilt es kurzfristig, Existenzen zu retten, die insbesondere im Bereich der Solokünstler*innen und Freien Kulturszene massiv bedroht sind. Zeigen wir uns solidarisch mit den sich in Not befindenden Kulturakteuren, öffentlichkeits- und damit auch kulturwirksam. Dieses Handeln sollten wir uns über die Pandemie hinaus bewahren.
Begnügen wir uns hierbei wie grundsätzlich nicht mit routinierten Dialogen, sondern gehen ebenso unbequeme Wege und suchen „gefährliche Begegnungen“. Verhindern wir damit, dass die Kultur ins Abseits gerät und ihren gemeinschaftsstiftenden Einfluss einbüßt. Eine derartige Schwächung der Kultur würde langfristig Schatten werfen.