Dr. phil. Rüdiger Koch
Trügerische Selbstgewissheiten bei Kulturverlust
Allgegenwärtig werden wir mit Selbstgewissheiten konfrontiert, mit geistigen Shutdowns, mit Verhinderern einer Diskurskultur. Damit geht einher ein Verlust an gelebter Demokratie.
Dieses ist nicht das Ergebnis eines Individualismus`, vielmehr das eines Mitröhrens in stimulierten, medial hochgeladenen Echokammern. Auf die Akteure scheint es befreiend und gleichsam Ich-stärkend zu wirken, bisweilen bis zum Exzess.
Es mag ein primitiver Mechanismus sein, ein aus dem Stammhirn generiertes Wir-Gefühl, welches hierbei eine urtümliche Wärme vermittelt. Die eigenen Meinungsmauern geraten höher und gereizter, sobald am eigenen Meinungskäfig gerüttelt wird. Das eigene geistige Gefängnis wird als wertige, Ich-erhaltene Sicherheit mit Absolutheitsanspruch empfunden, gleichsam hergebrachter Festungsmauern.
Wie passen diese Reflexe zu einer vernetzten Welt? Worum geht es? Wir reden nicht dem
Beliebigen das Wort, nicht dem ungehörten Aufgeben eigener Positionen. Es geht um die Vielfalt der Potentiale dieser Welt, die zu hören und zu fördern über unsere Zukunft mitentscheidet. Hierzu zählt auch die Erfahrung eigenen Irrens und Scheiterns. Sie ist nicht mit dem Stigma des Versagens zu versehen. Im Gegenteil: Über diese Offenheit, der rezidiven gegenseitigen Wahrnehmung und Abwägung von Haltungen und Argumenten erwächst eine wertschöpfende, humane Kraft. Eine einseitig auf kurzfristige Leistungsmaximierung getrimmte Leistungsgesellschaft und eine auf schnelle Überschriften setzende Medienwelt bieten hierfür wenig Zeit und Raum.
Heilversprechende Ideologien und erstarrte Selbstgewissheiten implizieren eine verarmte Kultur. Die Frage nach Ursache und Wirkung lässt sich nicht eindimensional beantworten. Zu erwarten ist jedoch, dass eine Minderung an gelebter Kultur der Verbreitung einer erstarrten Selbstgewissheit Vorschub leistet. Je weniger kulturelle Angebote in Gesellschaften gegenwärtig sind, desto empfänglicher sind diese für selbstvergewissernde Echokammern. Und dieses hat negativen Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs, auf die Grundlagen demokratisch verfasster Gesellschaften.
Kultur ist auch deshalb kein nachrangiges Politikfeld, sie ist gesellschaftlich vielmehr eine hochbedeutsames.