Dr. phil. Rüdiger Koch
Die kulturvergessene Provinz
Der vielzitierte Slogen einer „Kultur für alle“ (neu: „Kultur von allen“) wird in der
realen kulturellen Landschaft nicht eingelöst. Wir haben es, so Max Fuchs, mit einer
katastrophal ungleichen Verteilung öffentlicher Zuwendungen für die verschiedenen
Lebensstilgruppen zu tun. Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik verstanden darf es
aber nicht zulassen, dass die Hälfte unserer Bevölkerung, die außerhalb der
Ballungsräume lebt, marginalisiert bleibt. Eine schrumpfende Bevölkerung,
Armutsgefälle, Überalterung betreffen gerade im Osten Deutschlands die ländlichen
Regionen. Die Kulturpolitik hat deshalb ihren besonderen Beitrag im Verständnis
einer Transformationspolitik zu leisten.
Die Zeitschrift für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft widmete den
ländlichen Räumen in ihrer Ausgabe IV/2015 besondere Aufmerksamkeit. Als
Pilotprojekte waren im Kyffhäuser Kreis und Landkreis Nordhausen
Kulturentwicklungskonzepte vorgelegt worden. Die bundesweite Beachtung hierfür
bestätigt auch die bisherigen Defizite. Der kulturpolitische, systematische Ansatz,
der im Landkreis Mansfeld-Südharz folgte, hatte für die ländlichen Regionen dieses
Bundeslandes durchaus einen exemplarischen Charakter.
Die Forderung von Oliver Scheytt, aus der sogenannten Provinz durch
zukunftsweisende Entscheidungen eine kulturpolitische Avantgarde zu machen, ist
schon deshalb richtig, da die Kulturgüter weiter ländlicher Regionen außerhalb der
Wahrnehmungsschwelle der Metropolen liegen. Dieses hat personelle, finanzielle
und mediale Hintergründe sowie eine wenig ausgeprägte Neugier der sich oft selbst
genügenden Metropolen. Die initiierten TRAFO-Projekte sind Ausdruck einer späten
kulturpolitischen Erkenntnis, angesichts des Problem- und Aufgabenhorizontes
gleichwohl nicht mehr als ein bescheidenes Wundpflaster.
Ein Beispiel aus der Provinz:
Mittels einer haushaltstechnischen Volte, dem Umtaufen des Theaters Eisleben in
„Kulturwerk“, konnte bei einer reduzierten Landesförderung um zwei Drittel das
Haus „gerettet“ werden. Wie alle Theater des Bundeslandes, wurde auch das
„Kulturwerk“ evaluiert. Als auf Nachfrage des neu amtierenden Kulturministers
seine Fachverwaltung „Kulturwerk“ inhaltlich nicht hinreichend definieren konnte,
versenkte der Minister diesen Teil des Evaluationsberichtes dorthin, wo er
hingehörte: in den Papierkorb. Gleichzeitig durfte sich das Theater wieder Theater
nennen, bei einer leicht erhöhten Landesförderung. Ein richtiger Schritt.
Allein dieses Beispiel auf größere Häuser zu transferieren, hätte einen Sturmwind in
überregionalen Feuilletons ausgelöst. Die Provinz geriet zum Spielball einer Posse.
Kulturpolitik ist auch als Mentalitätspolitik zu verstehen, als Kampf um die Köpfe
und Herzen der Menschen. Damit ist Kulturpolitik kein „harmloses“ Politikfeld,
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sondern ein wichtiges, langfristig gesehen vielleicht das entscheidende im Hinblick
auf unsere politische und gesellschaftliche Ordnung. Eine demokratische
Kulturpolitik muss daher anstreben, zahlreiche Orte zu schaffen, in denen Menschen
selbst für sich definieren können, wie sie leben wollen, so auch Max Fuchs, der
langjährige Sprecher des Deutschen Kulturrates. Schauen wir deshalb auch verstärkt
auf die Kulturgüter der Provinz!