Dr. phil. Rüdiger Koch
Das Schweigen der Kultur
Aktualisiert: 8. Nov. 2020
Als Ulrich Khuon 2017 zum Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins gewählt
wurde, forderte er die Anwesenden zu gefährlichen Begegnungen auf. Hatten
nicht wiederholt Protagonisten der Kulturgesellschaft deutlich ihre Stimme
erhoben?
Hans-Thomas Tillschneider, promovierter Islamwissenschaftler und seit 2016
Abgeordneter der AfD im Landtag Sachsen-Anhalts, sprach sich öffentlich dafür
aus, in Zukunft genau auf die Programmatik der Bühnen zu schauen. Denen, die
ein zu buntes Agitprop-Repertoire mit Regenbogen-Willkommens-Trallala auf die
Bühne bringen, müsse man die öffentlichen Subventionen komplett streichen.
Wenn ein Theater nur solche Stücke spielt, dann muss das Ding zugemacht
werden. Ganz einfach, so Tillschneider. Und diese Sprache sprechen nicht nur die
Tillschneiders.
Ein weiterer Schritt, dieses auf einstgenannte „entartete“ Kunst oder auf Autoren
auszudehnen, die dem „Deutschtum“ keinen literarischen Ausdruck geben, ist ein
kleiner. Dass diese Unworte in unserer Zivilgesellschaft erneut öffentlich Ausdruck
finden, hatte einen zeitlichen Vorlauf.
Gleichsam seismografisch hatte bereits Jack Lang 1982 die Fête de la Musique ins
Leben gerufen, getragen bis heute vor allem von prekär beschäftigen
Kulturakteuren.
Obgleich sich bereits 2004 die Initiative „A Soul for Europe“ für die Kultur als eine
der zentralen Grundlagen für das Gelingen des europäischen Einigungsprozesses
einsetzte, führte sie zu keiner breitangelegten gesellschaftlichen Bewegung.
Erstaunlicherweise auch nicht bei den Kulturakteuren, die sich mehrheitlich in
ihren routinierten Diskursen gefielen und ihre Besucher in ihren angestammten
Häusern aus der Feudalzeit begrüßten. Dafür besetzten andere die Straßen, Plätze
und Medienthemen. Und deshalb musste Ulrich Khuon dazu auffordern, sich nicht
weiterhin einzurichten.
Wo haben Kulturakteure angesichts dieser Entwicklungen außerhalb ihrer
„Kathedralen“ und Kulturburgen diese gefährlichen Begegnungen gesucht?
Ich höre schon ein aufschreiendes „Ja doch“. Nein: Es war ein „Zu wenig“. Stattdessen
standen Inszeniertes, Indendantenwechsel, unsägliche
Umwegerentabilitätsrechtfertigungen, standen Diskussionen über Kultur als freie
oder Pflichtaufgabe im Vordergrund. Wo blieb das öffentlich ausgetragene,
vorangehende Bewusstsein dafür, Kultur als gesellschaftlich-normative Grundlage zu
verstehen und dieses öffentlich zu deklamieren? Nicht Partielles sollte in unserem
epochalen Zeitenwandel im Fokus stehen, vielmehr Grundlegendes.
Jean Baudrillard hat bereits 2007 die Frage gestellt, warum im Zeitalter der
Digitalisierung nicht alles verschwunden sei: die Werte, Institutionen, Endzwecke.
Seine Antwort in Bezug auf die Kunst: Sie sei sich ihres Verschwindens nicht bewusst
(siehe Jahrbuch für Kulturpolitik 2015/16, S. 76). Öffnet also die Türen der
Kulturhäuser, nicht nur als Eingangspforte, sondern als Offerte für die Kulturakteure,
unsere Straßen und Plätze mit kultureller Vielfalt zu beleben.